Der Hexenprozess von Ratingen/Angermund 1499 – 1500
Im August 1499 wurden im bergischen Amt Angermund drei Frauen wegen des Deliktes der Zauberei gefangengenommen. Eine von ihnen – sie stammte aus Alpen am Niederrhein – wurde in Ratingen vermutlich in einem der Stadttürme inhaftiert. Die beiden anderen Frauen, die in Angermund wohnten, wurden in die dortige Kellnerei, die Burg des Landesherrn, gebracht. Während die Frau aus Alpen – ihr Name ist nicht bekannt – im Ratinger Gefängnis starb, nachdem sie verhört und gefoltert worden war, wurden die beiden anderen einer umfangreichen juristischen Prozedur unterzogen. Es handelte sich hier um eine Mutter mit ihrer Tochter namens Irmen und Billien Neckels. Beide wurden beschuldigt, einem Angermunder Bauern namens Slyngerstock sein Pferd, die Kühe und die Milch verzaubert zu haben. Der Landwirt hatte zunächst beim Ortsgeistlichen Jan Schopen um Rat gefragt hatte, wie er den Zauber von seinem Vieh nehmen könne. Da dies ergebnislos blieb, erfolgte eine mehrfache Befragung der angeklagten Frauen. Doch selbst die Anwendung der Folter erbrachte kein Geständnis. Schließlich wurde für die Urteilsfindung auch ein Wahrsager namens „Meister Conrat Steynbrecher”, der ebenfalls aus Alpen stammte, hinzugezogen. Er braute in der Küche der Angermunder Kellnerei einen Trank, den die beschuldigten Frauen trinken mussten. Dieses werde dazu führen, dass sie ihre bösen Taten gestehen müssten. Doch Meister Conrat befand beide für unschuldig; nichts anderes, als dass sie ehrbare Frauen seien, die das Zaubern weder gewusst, getan noch gekonnt hätten, habe er feststellen können – eine Aussage, die in einer Schöffenurkunde schriftlich hinterlegt wurde.
Das Gericht, das aus Amtsträgern des Landesherrn, des Herzogs von Jülich-Berg, den Schöffen der zuständigen Gerichte Ratingen und Kreuzberg (heute Kaiserswerth) sowie des Adeligen Gumbrecht von Neuenahr, Herr auf Schloss Linnep, bestand, traute dem Wahrsager „Meister Conrat” und den ihm zugeschriebenen magischen Fähigkeiten allein aber nicht.
Der Ratinger Richter Wilhelm von Hammerstein informierte sich im kurkölnischen, nicht weit von Angermund und Ratingen entfernten Rheinberg. Denn dort war im Jahr 1499 bereits eine Frau wegen Zauberei verbrannt worden. Giertken Blanckers, so ihr Name, war dort wegen Zauberei verbrannt worden, nachdem sie ein Geständnis abgelegt hatte. Dieses, auf einen kleinen Zettel geschrieben, schickte der dortige Amtmann mit. Darin heißt es, dass sie das Zaubern 20 Jahre lang gekonnt und ebenso lange Zeit mit dem Teufel gebuhlt habe. Sie habe auch vier Treffen abgehalten, an welchen noch drei andere Frauen beteiligt gewesen seien. Eine sei die Magd des Pastors von Alpen gewesen. Vom Verzaubern der Kühe wurde nun nicht mehr gesprochen, stattdessen wurden das Zaubern allgemein, die Teufelsbuhlschaft und das Treffen mit anderen Frauen und dem Teufel auf dem „Hexensabbat“ in den Mittelpunkt gestellt. Dieses „Geständnis” der in Rheinberg verbrannten Frau zeigt, dass das Gericht die Kenntnis des gelehrten Hexenbegriffs als Kumulativdelikt, wie er in der Theologie (Dämonologie) entwickelt wurde, kannte: Schadenszauber, Teufelsbuhlschaft, Hexensabbat sowie der Fähigkeit des Flugs durch die Luft (implizit: um zu den Treffen zu gelangen). Auch die Weitergabe der Hexenkenntnisse von der Mutter auf die Tochter, die vielfach angenommen wurde sowie die Entstehung und Verbreitung des Gerüchts waren in der Argumentation des Gerichts nachvollziehbar.
Nachdem die beiden Angermunder Frauen Billien und Irmen Neckels freigelassen wurden, da ihnen kein schädigendes Verhalten nachgewiesen werden konnte, wurde weiter nach den vermeintlichen Verursacherinnen des geschädigten Viehs gesucht. Bald wurden vier weitere Frauen inhaftiert, zwei aus Huckingen und zwei weitere wiederum aus Angermund. Die beiden letzteren wurden schließlich, nachdem ihnen wiederum durch die Folter ein Geständnis abgepresst wurde, zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Am zweiten Fastensonntag, dem 18. März 1500, wurden sie nach Ratingen gefahren, da das Ratinger Gericht über die Blutgerichtsbarkeit verfügte. Das Urteil wurde auf der Richtstätte „An der Vest”, im heutigen Ratingen-Ost gelegen, mit dem Tod durch Verbrennung vollstreckt. Die Namen der beiden hingerichteten Frauen sind nicht überliefert.
Zu den Vorstellungen von „Zauberei“ und „Hexerei“
Die in Verdacht geratenen Frauen wurden in den Gerichtsakten immer als Zauberinnen und nicht als Hexen bezeichnet. In der hiesigen Region – und dies gilt für den niederdeutschen Sprachraum bis zum Ende des 16. Jahrhunderts insgesamt – war das der Regelfall. Der Begriff „Zauberei” hatte seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert in der Region offenkundig einem Bedeutungswandel erfahren. Vor Gericht wurde der Begriff nun von der Anklage oft im Sinne eines Kumulativdelikts für „Hexerei” als ein Ausnahmeverbrechen (crimen exceptum) verwendet. Für die angeklagten Frauen und die Menschen des Volkes war dieser gelehrte Hexenbegriff unverständlich. Sie verstanden die Fragen der Gerichtspersonen etwa nach Teufelsbuhlschaft und Hexensabbat nicht. „Zauber“ im Sinne guter (weißer) Magie, wie Meister Conrat sie ausübte, und schwarzer, schädigender Magie, um das Vieh zu verzaubern, Krankheiten hervorzurufen oder schlechtes Wetter zu machen, war dagegen eine in der Bevölkerung lange vertraute Vorstellung.
Zur Veränderung des Begriffs „Zauberei“ in „Hexerei“ hatte ein Buch maßgeblich beigetragen: Der Malleus Maleficarum, der „Hexenhammer“ des Schlettstädter Dominikaners Heinrich Kramer (Institoris). Das Buch war 1486 erstmals in Speyer erschienen und 1494 auch in Köln gedruckt worden. Ob Jakob Sprenger Mitautor des „Hexenhammers“ ist, wie früher angenommen wurde, ist heute in der Forschung umstritten. Der „Hexenhammer“ fasste bereits bekannte Vorstellungen seiner Zeit zusammen und verbreitete damit die Kenntnis des kumulativen Hexereidelikts in starkem Maße. Damit lieferte er die Grundlage für die Hexenprozesse vor weltlichen Gerichten. Dem Buch wurde eine päpstliche Bulle vorangestellt, womit eine hohe kirchliche Legitimation verbunden war.
Jahrzehnte vor dem Erscheinen des „Hexenhammers“ hatte es schon erste Hexenprozesse gegeben: 1450 in der Schweiz und am Bodensee und 1456 in Köln, wo eine Frau aus Lothringen wegen Wetterzaubers und anderer diabolischer Taten hingerichtet wurde. Nicht nur durch den „Hexenhammer“, sondern auch durch mündliche Nachrichten über Hexenprozesse, breiteten sich die Kenntnis darüber immer weiter nach Norden und Westen aus.
Hexenverfolgung in der Region
Nach den Hexenverfolgungen in Ratingen und Angermund um 1500 wurden im Winter 1513/14 elf Frauen auf dem heutigen Stadtgebiet Duisburgs verbrannt: In Walsum, damals Ruhrort und der damaligen Stadt Duisburg (eine Frau, die aus Wanheim stammte). Dieses ist durch die Chronik des Geistlichen Johann Wassenberg überliefert, der versuchte, die Ereignisse so zu erklären: Im Jahr 1513 hatte einen sehr kalten Winter gegeben. Es hatte wenig geregnet, und dann wurde es kalt, so dass der Rhein über mehrere Wochen zufror. Es gab einen großen Wassermangel, und die Brunnen vertrockneten. Dann regnete es plötzlich stark, und es taute, so dass viele Deiche brachen und das Hochwasser große Schäden anrichtete. Solche Ereignisse spielten dem Hexenglauben in die Hände, denn es wurden Sündenböcke gesucht.
Dennoch kamen die frühen Hexenprozesse in der Region bald zum Erliegen.
Im heutigen Kreis Mettmann, ebenso wie in den Kernländern der Herzogtürmern Jülich-Kleve-Berg, waren die Hexenverfolgungen insgesamt nicht sehr ausgeprägt gewesen. Da in den jeweiligen Ländern das Alten Reiches unterschiedliche gesetzliche Regelungen galten, die auch immer Ausdruck des Willens des einzelnen Landesherrn waren, gab es unterschiedliche Rechtspraktiken. Daher konnte es sein, dass wenige Kilometer von einem Ort entfernt, in einem anderen Dorf oder einer anderen Stadt, der zu einem anderen Territorium gehörte, auch andere Gesetze galten. Für das Jahr 1555 wurde in den Quellen erwähnt, dass zwei Frauen aus der Adelsherrschaft Oefte (heute zu Essen gehörig) vor dem bergischen Gericht in Homberg verurteilt worden seien. Näheres ist nicht bekannt. In der Herrschaft Hardenberg (heute Velbert) soll es 1587 zu einem Prozess gekommen sein, über den man ebenfalls nichts Näheres weiß. Handelte es sich hier um Einzelfälle mit unbekanntem Ausgang, so hatte es nur wenig entfernt von Ratingen, im kleinen Stift Rellinghausen (heute Essen) sehr intensive Hexenverfolgungen gegeben: 1579 gab es 42 Hinrichtungen wegen Hexerei – hier war auch der Ratinger Scharfrichter „Meister Hans“ tätig gewesen – und 1590 nochmals mindesten 14 Hingerichtete, darunter auch ein Mann.
Fakt ist, dass somit in einem verfolgungsarmen Gebiet, wie es Jülich-Kleve-Berg war, doch Hexenverfolgungen für einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren nachgewiesen werden können. Im Jahr 1737/38, schon zu Zeiten der Aufklärung, wurden ein 16 Jahre altes Mädchen und eine 48 Jahre alte Frau auf dem Galgenberg in Grafenberg (heute Düsseldorf) als Hexen verbrannt. Maßgeblich daran beteiligt war der Richter des ehemaligen Amtes Mettmann mit Sitz in Gerresheim, Johann Sigismund Schwarz, der von der Existenz von Hexen fest überzeugt war. Dieser Prozess ging als der letzte Hexenprozess des Niederrheins in die Geschichtsbücher ein. Er war lange Zeit vergessen und geriet erst wieder ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit, als er 1987 zur Bildgestaltung eines Karnevalsordens hinzugezogen wurde. Heute erinnern in Gerresheim ein Denkmal und die Benennung des Platzes, an welchem es aufgestellt ist, an die beiden Frauen.